Trashman Begins


Leseprobe


"Plötzlich erschien ein Licht, wo bereits zuvor eins gewesen war. Eine Silhouette bewegte sich auf Bruce herab, reichte ihm die Hand. An einem Seil, wagemutig und doch so souverän, hing Thomas Braine einhundert Zentimeter in der Tiefe.


Wenige Stunden später schreckte Bruce schweißgebadet aus seinem Bett auf. Ein fauliger Geruch lag in der Luft.

„Schlecht geträumt?“, fragte Vater, der an seinem Bett verweilt hatte.

Bruce nickte.

„Die Scheiße?“ Vater zog ihm ein Klümpchen aus dem Haar. „Du weißt, warum sie dich angegriffen hat?“

„Weil sie Angst vor mir hat?“

„Wieso sollte Scheiße bitteschön Angst vor dir haben?“ Thomas Braine starrte seinen Sohn an wie ein geistig Gesunder George Bush. „Nein, sie hat dich angegriffen, weil du in der Jauchegrube von Alfreds Schuppenklo gelandet bist und er es gerade in diesem Moment kräftig krachen lassen hatte. Was hast du dir dabei gedacht? Bisschen Kotfishing? Bist du koprophil, mein Junge? Mir kannst du's doch sagen.“

„Aber ... aber ... ich wollte doch gar nicht! Ich bin doch gestürzt, traumatisiert, schlimm leidend etc.!“

„Sei nicht so eine Memme! Siehst du das bei mir? Wenn du dich nicht beizeiten zusammenreißt, wirst du im Leben mal noch viel tiefer in die Scheiße greifen!“

 

Bruce und seine Eltern waren auf dem Weg in die Oper. Umweltbewusst, wie die Familie nun einmal war, ließen sich die drei von Alfred lediglich bis zum Stadtzentrum im Bentley chauffieren. Die restliche Station bis zur Staatsoper wollten sie dann, tief verwurzelt in ihrer Bodenständigkeit, mit der Einschienenbahn zurücklegen. Nachdem nun also ein Waggon geleert war und der Linienzug fleißig Verspätung gesammelt hatte, nahm Dustham Citys Vorzeigefamilie im Licht der Mittagssonne vor einem großartigen Panoramafenster im Zug Platz.

„Dein Vater hat diesen Zug gebaut, Bruce.“, verkündete Muttern mit stolzgeschwellten Möpsen.

„Nein, das stimmt nicht.“, belehrte sie Vater voller Demut. „Ich habe ihn nicht wirklich gebaut.“

„Du hast ihn bezahlt – das ist ja fast dasselbe.“

„Schuldig.“, bekannte Vater verschmitzt lächelnd. An dieser Einsicht führte wohl einfach kein Weg vorbei. „Es ist eine Familientradition, besser zu sein als alle anderen, Bruce. Ich möchte, dass du das verinnerlichst. Na, wer ist dein Daddy?“

„Du!“

„Und was will dein Daddy?“

„Mommy!“

„Das auch, mein Junge, das auch ...“ Für einen kurzen Moment blieb Vaters Blick am Po des Serviermädchens hängen. „Aber vor allem möchte ich, dass du in meine Fußstapfen trittst und der Welt eines Tages zeigst, aus welchem Holz die Braines geschnitzt sind!“

Bruce blickte euphorisiert und doch zugleich verlegen drein: „Und warum hast du die Bahn gebaut, Daddy?“

„Weil es die Menschen dieser Stadt verdienen, ein faires, günstiges, umweltschonendes und schnelles Transportmittel zu besitzen!“ Vater grinste und flüsterte Mutter ins Ohr: „Und weil mir die Leute jeden Tag verdammt viel Geld dafür zahlen!“ Er lachte so schmutzig, wie es sein Engelsmund nur hergab, und kniff Mutter in den Po, woraufhin sie lustvoll jauchzte.

„Daddy, wir wollten doch eigentlich nur eine Station fahren. Jetzt sind wir schon so lang unterwegs. Müssten wir nicht schon längst dasein?“

„Eigentlich schon. Aber du musst wissen, Realismus spielt in unserer Geschichte keine Rolle. Schau dich nur mal um: Gleich wirst du Folgendes bemerken: Wir haben unsere Mäntel an, folglich ist Herbst oder Winter. Das heißt, die Sonne geht früh unter. Wenn du nun rausguckst, stellst du fest, es ist hell –Mittagssonne. Wir gehen also mittags in Abendgarderobe in die Oper. So will es die Tradition. Wenn wir dann, nachdem das Stück gerade erst angefangen haben wird, das prunkvolle Opernhaus durch einen abgeranzten Seitenausgang in eine muffige, dunkle Gasse verlassen, wird es dunkel geworden sein. Nicht etwa dämmerig, nein, die Sonne wird untergegangen sein. Ein herrliches Phänomen, nicht wahr? Du musst wissen, wäre es jetzt Nacht, könnte ich dich unmöglich mit der Schönheit der von mir geschaffenen Dinge in dieser Stadt beeindrucken. Wäre es allerdings zu dem Zeitpunkt, da wir die Oper verlassen - herzlichen Dank dafür übrigens - noch hell, tja, dann würde ja die ganze Dramaturgie unseres Todes in einer düsteren, düsteren Gasse flöten gehen. Ergo betätige ich mich ein wenig als Meister der Zeit.“

„Wow, Daddy! Was du alles kannst! Du bist der Größte!“

„Der Schnellste und der Beste!“, fügte Mommy hinzu.

„So, Bruce“, sagte Vater. „Es gibt nichts Wichtiges, Witziges oder Lückenfüllendes mehr zu erzählen - das heißt, wir sind da.“

„Wo?“

„Na, im Opernhaus. Guck dich doch mal um. Das Stück ist schon in vollem Gange.“

Und tatsächlich, rund um ihn herum war es plötzlich dunkel, schemenhaft ließen sich Unmengen sitzender Personen erkennen, und von vorn schallte die Melodie von Bellinis fröhlichem Donna È Mobile in den Raum, während der Struwwelpeter über die Bühne huschte."